Der Begriff der Nachhaltigkeit ist seit einigen Jahrzehnten eng mit der Ökologie verknüpft. Was hat Ökologie aber mit MitarbeiterInnenführung zu tun?
Macht die Verknüpfung eines Begriffs aus der Umweltwissenschaft mit einem Begriff aus dem Unternehmensmanagement Sinn? Die vorweg genommene Antwort: ja, es macht Sinn.
Zuerst ist es wichtig, Nachhaltigkeit zu definieren als „Nutzung eines regenerierbaren Systems in einer Weise, dass dieses System in seinen wesentlichen Eigenschaften erhalten bleibt und sein Bestand auf natürliche Weise nachwachsen kann.“
In der MitarbeiterInnenführung ist die Nutzung des regenerierbaren Systems die Arbeitsleistung der MitarbeiterInnen. Diese Arbeitskraft soll erhalten bleiben, das heißt langfristig einen Mehrwert für das Unternehmen erzeugen und nicht nur kurzfristig ausgebeutet werden. Die Energien der MitarbeiterInnen sollen auch nachwachsen, die Batterien sich immer wieder aufladen, sonst kommt es zu Demotivation und Burnout.
Wir sehen also, dass die Definition von Nachhaltigkeit durchaus sinnvoll auf Führung anzuwenden ist.
Nach dreißig Jahren shareholder-value-Diktat und nach einer heftigen Wirtschaftskrise – deren Auswirkungen wir nicht hinter, sondern noch vor uns haben – zeigt sich auch in der Führungsphilosophie mancher Unternehmen ein Wertewandel. Sozial verträglicher Umgang mit MitarbeiterInnen und ökonomischer Erfolg scheinen kein zwingender Widerspruch mehr zu sein, im Gegenteil, sie bedingen sich sogar gegenseitig. Gerade in Branchen, deren Schwerpunkt im Umgang mit Menschen liegt wie im Pflegedienst, zeigt sich diese Wechselwirkung besonders stark.
Die Grundideen nachhaltigen Führens sind in fünf Prinzipien zusammenzufassen.
1. Behandle deine MitarbeiterInnen so, wie du willst, dass sie deine Kunden behandeln sollen!
Gerade wenn man beruflich viel mit Menschen zu tun hat, ist es naiv zu glauben, man könne als Führungskraft grob und respektlos mit den MitarbeiterInnen umgehen und die sind dann zu den Kunden freundlich und wertschätzend. Entsprechend dem Nachhaltigkeitsprinzip „Erhaltung des Systems in seinen wesentlichen Eigenschaften“ bauen Sie ein System des Respekts zwischen Ihnen, Ihren MitarbeiterInnen und Ihren KundInnen auf und sorgen Sie dafür, dass es erhalten bleibt. So erreichen Sie „Wertschöpfung durch Wertschätzung“!
2. Sorge dafür, dass deine MitarbeiterInnen regenerieren können und nicht ausbrennen!
Die Anzahl an Burnout-Erkrankungen ist in den letzten Jahren extrem angestiegen. Höhere Leistungsanforderung bei gleichzeitig steigender Stressbelastung ist nur kurzfristig als Ausnahmesituation bewältigbar. Wird diese Ausnahme zur Norm, folgen Überforderung – Frustration – Demotivation – Verzweiflung – Krankheit.
Das ist das genaue Gegenteil von Nachhaltigkeit. Betrachten Sie daher Klagen von MitarbeiterInnen über zu hohe Belastung nicht als Ausdruck von Faulheit, sondern als wichtige Information!
Übrigens: Das alles gilt natürlich für Sie selbst genauso…
3. Fördere die Selbstorganisation und Selbstverantwortung deiner MitarbeiterInnen, statt mit Befehl und Kontrolle zu führen!
Menschen, die durch Befehl und Kontrolle geführt werden, verharren in Unmündigkeit und entwickeln sich nicht weiter. Aus meiner Praxis als Führungskräfte-Coach weiß ich, wie wenig Selbstorganisation oft MitarbeiterInnen zugestanden wird und wie oft Führungskräfte gleichzeitig darüber klagen, dass sie sich um alles selbst kümmern müssen. Nachhaltig führen heißt, die vorhandenen Ressourcen der MitarbeiterInnen wahrzunehmen und die eigenen Ressourcen als Führungskraft gezielt einzusetzen.
Das bedeutet zum Beispiel, sich zu fragen, was ein/e MitarbeiterIn braucht, um eine Aufgabe selbständig zu übernehmen, statt ihm immer wieder denselben Befehl zu geben und zu kontrollieren, ob er ihn richtig ausführt.
4. Mach die MitarbeiterInnen zu Beteiligten am Erfolg, und sie werden sparsamen Umgang mit Ressourcen und vorausschauendes Handeln als selbstverständlich betrachten!
Die Idee des Partizipativen Führens ist ja nicht neu, bloß in der Ausführung gibt es häufig Mängel. Betrachten Sie Ihre MitarbeiterInnen als verantwortungsbewusste und verantwortungsbereite Menschen, nehmen Sie ihre Ideen, aber auch ihre Einwände ernst, und Sie werden sich wundern, welche Potentiale da zum Vorschein kommen.
5. Baue auf langfristigen Nutzen statt auf kurzfristige Einsparungen! Diese sind im Endeffekt sehr teuer.
Haben Sie beim Lesen der bisherigen vier Punkten gedacht: Der Mann hat keine Ahnung von unserer Realität, von Budgetnöten und Einsparungszwängen?
Nun, mit dem nachhaltigen Führen ist es genauso wie mit der nachhaltigen Landwirtschaft. Auf ausgemergelte Böden Massen von Kunstdünger drauf werfen und sich bei der Ernte denken „Na siehste, geht ja!“ geht solang, bis es eben nicht mehr geht. Bis die Böden komplett unfruchtbar werden und die Ernte chemisch vergiftet als Sondermüll entsorgt werden muss. Und obwohl die nachhaltige Landwirtschaft oft aufwendiger ist, gibt es viele, die diesen Weg erfolgreich gehen. Wer in zwanzig Jahren als der erfolgreichere dastehen wird, wird man dann sehen.
Genau so ist es mit dem nachhaltigen Führen. Es wäre interessant, eine ehrliche betriebswirtschaftliche Rechnung anzustellen, in der man die Einsparungen durch Personalreduktion und Steigerung der Anforderungen den Mehrausgaben durch höhere Fluktuation, Einschulungskosten und steigende Fehlerhäufigkeit gegenüber stellt. Das ganze natürlich nicht auf zwei sondern auf zwanzig Jahre gerechnet.
Ja, nachhaltiges Führen gibt es. Viele Führungskräfte tun es auch zumindest in Teilbereichen, und es lohnt sich, über die Umsetzung in die Praxis nachzudenken. Nicht nur aus menschlichem Idealismus, sondern auch aus betriebswirtschaftlicher Rechnung.
Peter Jelinek ist seit 25 Jahren Unternehmensberater, Führungskräftetrainer und Coach an der Jelinek Akademie.